In unserem Montags-Forum „Denk-Revolution“ hatten wir gestern Abend eine erneut sehr spannende Diskussion.
I.
Die Verhältnismässigkeit der Beschränkung von Freiheits- und Grundrechten beherrscht viele aktuelle Diskussionen.
Those who would give up essential Liberty, to purchase a little temporary Safety, deserve neither Liberty nor Safety
Benjamin Franklin
Wir haben uns gestern Abend mit fachlicher Moderation eines Arztes und Klinikinhabers einmal die ganz aktuellen Veröffentlichungen des RKI angesehen. Dieses bestätigt das große Interesse in der Öffentlichkeit das aktuelle Infektionsgeschehen und die zeitnahe Entwicklung von SARS-CoV-2-Infektionen und Covid-19-Erkrankungsfällen in Deutschland darzustellen und zu verstehen.
Das Nowcasting 2 erstelle nach dem RKI eine Schätzung des Verlaufs der Anzahl von bereits erfolgten SARS-CoV-2-Erkrankungsfällen in Deutschland unter Berücksichtigung
des Diagnose-, Melde- und Übermittlungsverzugs. Dazu werde der Anteil an Fällen ermittelt, der nach einer bestimmten Anzahl von Tagen, x, nach Erkrankungsbeginn gemeldet wurde.
Die R-Schätzung ergibt für Anfang März Werte im Bereich von R = 3, die danach absinken, und sich etwa seit dem 22. März um R = 1 stabilisieren (s. Abb. 4). Am 9. April lag der Wert von R bei 0,9 (95 %-PI: 0,8 – 1,1). Ein Grund dafür, dass der Rückgang der Neuerkrankungen trotz der gravierenden Maßnahmen nur relativ langsam passiert, ist, dass sich das Virus nach dem 18. März stärker auch unter älteren Menschen ausbreitet und wir zunehmend auch Ausbrüche in Pflegeheimen und Krankenhäusern beobachten. Ein weiterer Aspekt ist aber auch, dass in Deutschland die Testkapazitäten deutlich erhöht worden sind und durch stärkeres Testen ein insgesamt größerer Teil der Infektionen sichtbar wird. Dieser strukturelle Effekt und der dadurch bedingte Anstieg der Meldezahlen, kann dazu führen dass der aktuelle R-Wert das reale Geschehen etwas überschätzt, so das RKI.
Grafisch ergibt sich folgende Situation:
Quelle: an der Heiden M, Hamouda O: Schätzung der aktuellen Entwicklung der SARS-CoV-2-Epidemie in Deutschland – Nowcasting. Epid Bull 2020;17:10 – 15 | DOI 10.25646/6692.2 am 15.4.2020 online vorab erschienen
Sehen Sie dazu auch den Kommentar von Prof. Dr. Stefan Homburg
Nachdenkens- und diskussionswert ist vor allem der zeitliche Verlauf der R – Werte in Relation zu den getroffenen Maßnahmen. Einen Reproduktionswert über 1 bis weit über 3 hatten wir danach in der ersten März-Hälfte (Die Zeit der Super-Spreader). Dieser wurde offensichtlich mit der Absage von Großveranstaltungen deutlich reduziert. Als dann am 23. März die Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen kamen, war der Wert bereits um die 1. Eine Stabilitätsanalyse der R-Schätzung zeigt, dass sich der R-Wert insgesamt stabiler als das Now-casting selber verhalte, so das RKI.
Im Forum wurde mehrheitlich die Meinung vertreten, dass die vorstehenden Daten belegen könnten, dass der PEAK bereits hinter uns sein könnte.
Wir werden die Diskussion unter Beobachtung der aktuellen Entwicklungen fortsetzen und dabei den Respekt vor einem unbekannten und noch wenig erforschten Virus und dessen Folgen walten lassen. Ob das Virus nämlich nur pneumatische Probleme auslöst ist ebenso ungewiss, wie die Folgen, die selbst nach Genesung verbleiben.
Diese Meinungen sollte man aber einmal lesen/sehen/hören:
- Dr. Ferdinand Wegscheider im Gespräch mit Prof. Dr. Sucharit Bhakdi
- Ernst Wolff: Coronakrise, Finanzcrash, Profiteure
- Expertengespräch Covid-19. Prof. Püschel, Prof Bhakti, Dr. Petersohn, Dr. Völz
- Prof. Dr. Roland Conrady, Professor für Touristik und Verkehrswesen an der Hochschule Worms und wissenschaftlicher Leiter des ITB Berlin Kongresses
- NZZ: Freiheit war gestern
II.
Zweiter zentraler Diskussionspunkt war das Thema der Überlebensfähigkeit der Wirtschaft. Dies, so die Gruppe, könne nicht einheitlich beurteilt werden, sondern würde branchenindividuell zu Gewinnern und Verlierern führen. Je nach dem, wie sich die Entwicklung bzw. Erholung oder Nicht-Erholung in bestimmten Branchen darstelle, käme es zu einer V-, einer U- oder einer L-Entwicklung.
Wie in der Medizin gilt auch für die Wirtschaft die zentrale Frage: Geht ein Betrieb AN oder MIT Corona zugrunde?
Gerade für viele kleinere und mittelständische Unternehmen mit geringeren Margen und Rücklagen wie z.B. in der Gastronomie, Hotellerie, privaten Brauereien oder StartUps, ist und kann eine U- oder gar L-Entwicklung wirtschaftlich existentiell vernichtend sein, weil sie diese Durststrecke nicht finanzieren werden können, keine Rücklagen haben und AN Corona und den unmittelbaren Folgen sterben. Und die staatlichen Hilfen (selbst wenn sie nicht zurückgezahlt werden müssten) sind oft nicht mehr als ein „Tropfen auf den heißen Stein“ und eine kurzfristige Verlängerung des Sterbens. Ohne Perspektive eines geordneten Geschäftsbetriebes kann ein Betrieb mit 5-30T€ nicht einmal einen Monat seine Kosten decken. Dies hat – wie von mir in vorherigen Beiträgen dargelegt – gar nichts mit nicht-lebensfähigen Geschäftsmodellen oder Strategien zu tun. Diese Betriebe wären an sich lebensfähig, wenn sie tätig werden dürften.
Ich persönlich befürchte eine massive Spaltung in Gewinner und Verlierer der Krise, je nach dem welcher Branche ein Unternehmen zugehört. Die Folgen sind nicht absehbar und hier werden wir in den weiteren Foren ein spannendes Diskussionsfeld haben.
Niemand weiß, wie lange die Reisebeschränkungen innerhalb der EU noch dauern werden und wann gerade im Tourismus wieder ein halbwegs normale Betrieb möglich sein wird. Aktuellen Aussagen zufolge wird es eine Übergangszeit von 2-3 Jahren geben, in der wir uns nicht so frei bewegen können,wie wir das in der Vergangenheit gewohnt waren. Dennoch waren alle im Forum überzeugt, dass Urlaub und Reisen ein Grundbedürfnis sind und sobald dies wieder möglich sein werde, die Nachfrage entsprechend anzieht, nur: Die Art der Nachfrage wird sich deutlich verändern.
Gewinner werden nicht organisierte touristische Massenangebote, Massenhotels oder Kreuzfahrtschiffe sein, sondern die Anbieter von z.B. Ferienhäusern und Apartments wie auch Charterbooten, auf denen man mit Familie oder Freunden im ausgewählten Kreise abgeschirmt und im Cocooning Urlaub machen kann. Weniger Städtetourismus und Club-Urlaub mit vielen sozialen Kontakten. Mehr Natur oder Urlaub auf dem Bauernhof. Der Bedarf nach Individualisierung wird massiv zunehmen und damit allen touristischen Angeboten, die in der Vergangenheit massiv auf oft maßlose Skaleneffekte gebaut haben, eine Absage erteilen. Dazu kommt wieder das Reisen im eigenen Auto als schützender Käfig. Insoweit sehe ich eher einen Relaunch des Automobils.
III.
Über eines müssen wir uns im Klaren sein:
Die Coronakrise ist für eine Welt, deren Lebensfähigkeit schon vor dem Virus instabil geworden war, nur ein Brandbeschleuniger auf dem Weg Geschichte zu werden… Unternehmen und Organisationen sterben also nur MIT und nicht AN Corona, weil diese Krise bereits bestehende mangelnde Lebensfähigkeit beschleunigt.
Alleine die Disruption, die diese Krise vom Analogen zum Digitalen exponentiell beschleunigt, wird schon dafür sorgen, dass wir nicht wieder in 2019 landen werden. Der Medienkonsum und das Entdecken neuer Medien der Corona-Wochen belegt dies. Digitalen Freizeitprodukte gewinnen an Dominanz. In der Krise wachsen vor allem digitale „Bleib-zu-Hause“-Angebote wie Videos, TV- und Musik-Streaming sowie Online-Medien und man wird sich an deren Komfort so gewöhnen, dass es auch nach der Krise Standard bleibt.
Ich kann mich sehr gut an die Zeit vor 20+ Jahren erinnern, als eine führende Werbeagentur wie Saatchi & Saatchi ihre Erkenntnisse zu den sogenannten „Love Brands“ veröffentlichte und wir an den Business Schools ganze Lehrbausteine darauf aufbauten. Schaut man sich diese damaligen „Love Brands“ einmal an, so sind die meisten davon heute „out“. Altbacken, verstaubt, ersetzt oder tot. Genau so wie wir in den 80ern einmal an der Management Bibel „In Search of Execellence“ (Tom Peters and Robert H. Waterman, Jr.. First published in 1982) hingen. Die meisten darin vorgestellten „exzellenten“ Unternehmen sind lange Geschichte, haben den nächsten Lebenszyklus nie erreicht.
Insoweit bin ich auch davon überzeugt, dass es keinen weiteren Ausbau der Globalisierung der Vergangenheit geben wird, sondern einen Trend zu Regionalisierung und lokaler Wertschöpfungsketten. Die Auslagerung ganzer Kernkompetenzen und Wertschöpfungsketten ins ferne Ausland verursacht, wie sich nun zeigt, ungeahnte Risiken.
IV.
Ich sehe uns aktuell vor einer ganz großen und entscheidenden Herausforderung stehen, den Schutz der Bevölkerung und sukzessive Öffnung zur Sicherung der Wirtschaft und Freiheitsgrundrechte in maßvoller Relation zu gestalten und umzusetzen. In einer Demokratie muss Diskussion zulässig sein. Wenn die deutsche Bundeskanzlerin diese Diskussion als „Orgie“ abtut, läuft sie Gefahr, wie 2015, jeglicher Debatte die Legitimität abzusprechen. Solidarität muss „atmen“ können und sich flexibel den Gegebenheiten anpassen. Trotz aller schmerzhafter Einschränkungen der Grundrechte war der Lockdown in der bisherigen kritischen Phase rechtlich wie auch politisch richtig und vertretbar. Besondere Situationen legitimieren besondere Maßnahmen. Das sieht auch das Grundgesetzt vor. In keiner Weise darf dies aber zur Alternativlosigkeit führen. Wenn dynamische Entwicklungen begründbare Alternativen aufzeigen, müssen diese Debatten fähig sein. Mit der gezeigten Disziplin, Abstand, Einhaltung von Hygiene und vor allem Vermeidung von Großveranstaltungen sollten wir ein ganzes Stück weiter kommen, ohne sensible Bereiche der Wirtschaft ersticken zu müssen. es muss doch in einer halbwegs gebildeten und zivilisierten Welt möglich sein, mit Vernunft und Verstand mit einem solchen Virusrisiko leben zu lernen…
V.
Was mir am meisten Sorge bereitet, ist FIAT-Geld bedingte Überschuldungsfalle in die wir laufen, weil die Erträge der mit Fiat-Geld finanzierten Investitionen letztlich nicht ausreichen, die aufgelaufenen Schulden zu bedienen. Regierende und Regierte versuchen der unvermeidlichen Rezession-Depression durch die Ausgabe von noch mehr Kredit und Fiat-Geld, bereitgestellt zu noch tieferen Zinsen, zu entkommen. Das ist eine Teufelsspirale. Die Missstände werden also mit den Mitteln bekämpft, die sie verursacht haben. So breitet sich die Staatsmacht ohne größeren Widerstand immer weiter zu Lasten der Privatwirtschaft aus und wir hängen früher oder später am Tropf der staatlichen Umverteilungs- und Transfermaschinerie. Ein Schelm er nun die Frage stellt, wer die Profiteure eines solchen Zusammenbruchs sind und die Hand aufhalten, weil sie genau dafür vorbereitet sind. Zeit, ehemals gesunde Unternehmen, die nun AN der Corona-Krise zugrunde gehen, nun billigst zu übernehmen, sich am Elend anderer bereichern.
Für mich sind die Unterstützungen zu beliebig: Wer schreit bekommt, selbst wenn er auch ohne Virus nicht mehr lebensfähig gewesen wäre. Das Gastgewerbe will den ermäßigten Mehrwertsteuersatz. Die Autoindustrie fordert wieder mal eine Abwrackprämie, der Handel Konsumgutscheine. Das könnte man fast beliebig fortführen. Wer soll das bitte finanzieren?
Das Wettbewerbsprinzip gilt für Geld genauso wie für jedes andere Gut auch. Gutes Geld entsteht im freien Wettbewerb. Und der Wert des Geldes ist nur dann gegeben, wenn Geld als Wertaufbewahrungs-, Zahlungsmittel und Recheneinheit allgemeine Akzeptanz findet. Genau das ist in Gefahr!
VI.
Insgesamt müssen wir uns darüber bewusst werden, dass
- diese Krise das Ende vieler bisherigen Entwicklung und der Beginn von etwas Neuem sein wird und muss. Sie ist revolutionär-disruptiv, sie beendet alles ohne Rücksicht auf Gesetze, Werte oder Wirtschaftsindikatoren.
- nach dem Ende der Corona-Disruption eine Rückkehr zum Status quo von vor der Krise unmöglich ist
- Gesundheit und Lebensqualität neue Kernfaktoren sein werden, um die sich alles entwickelt
- Wachstum und Skaleneffekte als vorrangige Treiber der Vergangenheit angehören