Vorrangig ging es in den letzten Tagen bei den Sanktionen gegen Oligarchen um das „Einfrieren“ von Vermögenswerten. Dazu gehören vor allem Konten sowie Aktien, Grundstücke, Häuser, Yachten und Jets.
Dieses Recht steht dem Europäischen Rat, also dem Gremium aller Staatschefs der Union, zu. Bei jeder Person wird die Sanktion individuell begründet. UK als Nicht-EU-Land hat ein eigenes Rechtsverfahren.
Zuständig für die Vollstreckung der Sanktionen sind die Behörden der Mitgliedsländer. Die Banken in den EU-Ländern sind dazu verpflichtet, selbst die betroffenen Konten einzufrieren.
Ungeachtet des „Einfrierens“ wird derzeit auch die „Enteignung“ von Vermögenswerten diskutiert. Behörden beginnen vielerorts in Europa Yachten und anderes Hab und Gut russischer Oligarchen zu beschlagnahmen. Doch gibt es dazu eine Rechtsgrundlage?
I.
Dogmatisch ist die Eigentumsgarantie ein zentrales Grundrecht im Spektrum der Verfassungen der EU sowie der Nationen der EU, jedoch mit sehr unterschiedlichen Ausprägungen insbesondere der Enteignungsmöglichkeiten iVm Entschädigungsregelungen auf nationaler Ebene.
Supranationale Regelungen sind das EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) mit seinem Zusatzprotokoll sowie die EU GRCh (Charta der Grundrechte der Europäischen Union) entscheidende Rechtsgrundlage.
Die Eigentumsgarantie ist ein Urkern nationaler Grundrechte (z.B. Art 14 I GG Deutschland) sowie der EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention). Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist das gemeinsames Grundrecht aller einzelstaatlichen Verfassungen.
Eine in Deutschland belegene Yacht unterliegt grundsätzlich der Eigentumsgarantie des Art 14 GG und kann formal vollständig oder teilweise nur aufgrund eines Gesetzes unter Beachtung von Verhältnismässigkeit, Gleichheitprinzp und Vertrauensschutz entzogen werden. Dazu ist sie grundsätzlich nur gegen Entschädigung zulässig. Dies besagt auf EU-Ebene auch Art. 17 der Charta der Grundrechte des EU.
Entschädigungslos könnte eine bewegliche Sache nur im Rahmen einer „Konfiskation“ enteignet und auch verwertet werden, wenn damit z.B. eine Straftat begangen worden wäre, also z.B. der Pkw mit dem in Menschenmengen gefahren wird. Das ist hier aber nicht der Fall.
Die Europäische Menschenrechtskonvention erlaubt bei außergewöhnlichen Umständen eine formelle Enteignung. Solche Umstände können in einem massiven Verstoß gegen die Genfer Konventionen bestehen wie z.B. Gewalt gegen Zivilisten, Zerstörung ziviler Objekt. Die Verrohung der Kriegsführung Russlands in der Ukraine erfüllt hier viele der Bestimmungen.
Art 17 EU GRCh entspricht Artikel 1 des Zusatzprotokolls zur EMRK:
„Jede natürliche oder juristische Person hat das Recht auf Achtung ihres Eigentums. Niemandem darf sein Eigentum entzogen werden, es sei denn, dass das öffentliche Interesse es verlangt, und nur unter den durch Gesetz und durch die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts vorgesehenen Bedingungen. Absatz 1 beeinträchtigt jedoch nicht das Recht des Staates, diejenigen Gesetze anzuwenden, die er für die Regelung der Benutzung des Eigentums im Einklang mit dem allgemeinen Interesse oder zur Sicherung der Zahlung der Steuern oder sonstigen Abgaben oder von Geldstrafen für erforderlich hält.“
II.
EU GRCh (Charta der Grundrechte der Europäischen Union) Artikel 17 – Eigentumsrecht
- Jede Person hat das Recht, ihr rechtmäßig erworbenes Eigentum zu besitzen, zu nutzen, darüber zu verfügen und es zu vererben. Niemandem darf sein Eigentum entzogen werden, es sei denn aus Gründen des öffentlichen Interesses in den Fällen und unter den Bedingungen, die in einem Gesetz vorgesehen sind, sowie gegen eine rechtzeitige angemessene Entschädigung für den Verlust des Eigentums. Die Nutzung des Eigentums kann gesetzlich geregelt werden, soweit dies für das Wohl der Allgemeinheit erforderlich ist.
Art. 17 GRCh enthält zwei Schrankenregelungen im Bezug auf das Eigentum: Art. 17 Abs. 1. S. 2 sieht die Voraussetzungen der Eigentumsentziehung voraus, während Art. 17 Abs. 1 S. 3 die Regelung der Nutzung des Eigentums betrifft. Darüber hinaus sind auch die Schranken-Schranken des Art. 52. Abs. 1 GRCh einschlägig, vor allem der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und die Wesensgehaltsgarantie.
In Art. 17 GRCh finden sich drei Voraussetzungen der Eigentumsentziehung: a) sie muss durch Gesetz vorgesehen werden, b) im öffentlichen Interesse liegen und c) mit einer rechtzeitigen angemessenen Entschädigung verbunden sein. Während die ersten zwei Voraussetzungen eindeutig sind, wirft die Entschädigungspflicht Fragen auf. Vor allem ist es fraglich, ob eine Eigentumsentziehung ohne Entschädigung zulässig sein kann, denn nur dann würde der Eingriff in das Vermögen von Oligarchen mit Kreml-Nähe Sinn machen.
Nach dem Recht der EMRK ist eine formelle Enteignung, d. h. die formelle Eigentumsübertragung vom Eigentümer auf die öffentliche Hand als Eigentumsentziehung möglich, und zwar unabhängig davon, ob dies in Form eine Gesetzes, eines Verwaltungsakts, eines Gerichtsurteils oder eines privatrechtlichen Vertrags erfolgt. Die Rechtsprechung des EGMR macht jedoch deutlich, dass die Höhe der Entschädigungspflicht im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu bemessen ist. Dabei hält der EGMR (Europäische Gerichtshof für Menschenrechte) eine entschädigungslose Enteignung unter außergewöhnlichen Umständen für durchaus zulässig und beruft sich auf einen weiten Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten.
Solche außergewöhnlichen Umstände sind durchaus gegeben. Diese liegen vor allem in den Verstößen des Krieges gegen die Genfer Konventionen: 1. Das Gewaltverbot der UN Charta sieht nur zwei Ausnahmen vor, in denen der Einsatz militärischer Mittel in einem anderen Staat zulässig ist: im Fall von Selbstverteidigung oder der Autorisierung durch den Uno-Sicherheitsrat. Auf den Ukraine-Krieg trifft beides nicht zu, der russische Überfall ist deshalb ein krasser Bruch des Völkerrechts. 2. Zivilisten sind vor kriegerischen Handlungen zu schützen und menschlich zu behandeln. Sie dürfen nicht getötet, gefährdet, gefoltert oder bedroht werden. Beteiligen sich Zivilisten an Feindseligkeiten – etwa wie in der Ukraine durch das Werfen von Molotowcocktails oder ähnliche Aktionen –, verlieren sie den Schutzstatus, aber nur für die Dauer dieser Handlung. 3. Zivil genutzte Objekte dürfen nicht angegriffen werden. Selbst militärisch relevante Einrichtungen sind nur dann legitime Ziele, wenn die Operation keine unverhältnismäßig hohen Verluste unter der Zivilbevölkerung oder übermäßigen Schaden an deren Umwelt und Versorgung anrichtet. 4. «Blinde Waffen» dürfen nicht eingesetzt werden. Über der Ukraine werden solche aber eingesetzt. Das ist auch Nichtvertragsstaaten völkergewohnheitsrechtlich verboten. 5. Kombattanten, die dem Gegner in die Hände fallen, sind jederzeit mit Menschlichkeit zu behandeln, was nicht gegeben ist. 6. Humanitären Organisationen ist Zugang zu gewähren, was ebenso nicht der Fall ist.
Neben der formellen Enteignung ist Art 17 I S. 2 GRCh auf für die „de facto Enteignungen“ anwendbar, also eine Art „enteignungsgleichem Eingriff“, was dann gegeben ist, wenn z.B. durch Einfrieren von Vermögen jede Möglichkeit einer sinnvollen Eigentumsnutzung gesperrt ist.
Dennoch: All diese Verstöße und Straftaten sind ja nicht von den Oligarchen verübt. Sie decken zwar Putins Vorgehen weil oft wirtschaftlich von seiner Gunst abhängig, haben aber keine Art Garantenstellung auf Putin einzuwirken, den Krieg zu beenden. Letztlich muss die Eigentumsfrage der Yacht geklärt sein, zumindest am Ende der Kette von Zwischenunternehmen der jeweilige Oligarch als wirtschaftlich Berechtigter feststehen.
III.
Anders dagegen z.B. England. Dort wurde zum 01.01.2021 eine „Russland-Verordnung“ verabschiedet, dem Minister die Befugnis gibt, eine Person zu “benennen”, wenn er den begründeten Verdacht hat, dass es sich um eine “beteiligte Person” handelt, gegen die dann eine Reihe von Wirtschaftssanktionen verhängt wird. Im Einklang mit dem Wortlaut der EU-Regelung definieren die britischen Verordnungen eine “beteiligte Person” als eine Person, die u.a. „an der Destabilisierung der Ukraine oder der Untergrabung oder Bedrohung der territorialen Integrität, Souveränität oder Unabhängigkeit der Ukraine beteiligt ist oder war“. Wenn eine Person “benannt” ist, wird ihr Vermögen eingefroren, was bedeutet, dass der Handel mit Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen, die diesen Personen gehören, oder die Bereitstellung von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen für diese Personen verboten ist und eine Straftat darstellt.
>> zum Lesen und Nachdenken: Dann gnade uns Gott! WELT 5.3.22
Danke, Sie haben eine sehr wichtige Fragen aufgeworfen, Herr Grander!
Rein wirtschaftlich kommt ein langfristiges „Einfrieren“ einer Enteignung gleich und dafür braucht es eine Rechtgrundlage, die viele Rechtsordnungen nicht entsprechend haben. Für derartige Sanktionen wurde nichts „vorhergesehen“ und aktuelle diskutieren wir Juristen ja auch heftig auf der Suche nach einer Rechtsgrundlage.
Die EU denkt gerade über neue rechtliche Grundlagen nach, die auch das Verwerten der Güter mit dem Ziel daraus Reparationen für die Ukraine zu schaffen, nach. Wie das genau aussehen wird und wie die nationalen Rechtsordnungen damit umgehen werden wird abzuwarten sein.
Auch die Frage, was ein „qualifizierter Verstoß“ sein kann, muss genauer definiert werden. Es kann aber durchaus z.B. ein distanzloses Unterstützen / Finanzieren eines völkerrechtswidrigen Aggressors sein, um den Gedanken von zumindest „Beihilfe“ aufzubringen. Spannend wäre hier sogar über eine „Beihilfe durch Unterlassen“ nachzudenken, was eine Garantenstellung erfordert. Die Beteiligung durch Unterlassen an fremden Straftaten beschäftigt wie kaum ein anderes Thema die Strafrechtswissenschaft. Die Rolle der Oligarchen im Dunstkreis der russ. Regierung ist meist so maßgeblich, dass die Frage schon aufgeworfen werden muss.
Hierzu ein Gedanke von Prof. Dr. Matthias Krüger, München, ZIS 1/2011:
„Wenn man sich auf die Handlung konzentriert, führt die Unterscheidung von Beschützer- und Überwachungsgaranten hinsichtlich der Frage, welche Beteiligungsform sie im Verhältnis zu einem Täter durch positives Tun aufweisen, zu folgenden Konsequenzen: Der Beschützergarant ist in solchen Fällen nicht, wie von der Pflichtinhaltstheorie apostrophiert, Täter durch Unterlassen, sondern regelmäßig bloß Gehilfe. Dagegen macht sich der Überwachungsgarant in einer solchen Konstellation – wiederum im Gegensatz zur Pflichtinhaltstheorie – nicht bloß der Beihilfe, sondern stattdessen in der Regel der Unterlassungstäterschaft schuldig. Damit kann durchaus eine Differenzierung der einzelnen Beteiligungsformen nach dem Inhalt von Garantenstellungen und -pflichten erfolgen, freilich in genau umgekehrter Weise, wie es die Pflichtinhaltstheorie (bislang) tut. In dieser Hinsicht kommt der Einteilung der Garantenstellungen in Beschützer- und Überwachergaranten eine gewisse Indiz- und Leitbildfunktion für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme.“
Tatherrschaft hat man, wenn man maßgeblichen Einfluss auf das Geschehen hat. Dies ist wohl der Fall, wenn es nicht schwer fällt, darauf einzuwirken. Käme also den Oligarchen sogar eine Überwacherrolle zu?
Wie im sehr lesenswerten Beitrag auch aufgezeigt ist das entscheidende Kriterium hier wohl, ob (qualifizierte?) Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht den jeweiligen Eigentümern zuzurechnen sind. ME bräuchte es für eine solche Zurechnung eindeutige Belege begünstigenden Einwirkens des jeweiligen Eigentümers auf die Verübung von qualifizierten Rechtsverstößen. Hier wäre wohl am ehestens an den Beleg direkter Finanzierung von Kriegshandlungen zu denken. Das ist jedoch in der Praxis wohl kaum nachzuweisen.
Fraglich ist für mich, ob das Einfrieren von Vermögen, welches von Beginn an für ewig oder einen sehr langen Zeitraum beabsichtigt wird, nicht einen gleich starken Eingriff in die Eigentumsfreiheit darstellt, wie eine Enteignung. Falls man dies bejahen würde, stellt sich die Frage, wieso ein „beabsichtigt ewiges“ Einfrieren ohne eine auch im Beitrag argumentierte Zurechnung zulässig sein soll eine Enteignung aber nicht.