Ende 2019 stand ich mit etwas verzweifelten Gedanken und vielen Fragen am Silvesterabend im Schnee und habe mich gefragt, wo der Weg in die Zukunft ist in einer Gesellschaft, die vor lauter Saturiertheit dafür getrieben von politischer Korrektheit, Aktivisten allerlei Richtungen ohne Fundament und Plan und ausartenden Wohlstandsschlacken wie Genderprobleme u.ä. kaum mehr laufen kann. Vor den „Gretas“ dieser Welt und ihrer unverschämten Rhetorik knieten sogar die Teilnehmer von Weltwirtschaftsforen und ließen sich vorführen. Wir beugen uns ängstlich und demütig-willen- und meinungslos organisierten Mehrheiten und haben nicht mehr den Mut eine eigene Meinung zu sagen, die nicht gerade dem angesagten Mainstream entspricht. Dabei müssten wir gerade dann aufstehen und Stellung nehmen, wenn der Mainstream falsch ist und nicht der Schwarmintelligenz, sondern der Dummheit vieler entspringt. Spätestens bei nicht begründbarer Gleichschaltung der Masse beginnt Dummheit und die beste Demokratie bleibt auf der Strecke. Unsere Digitalisierung ist wenig entwickelt und nutzt gewaltige Chancen nicht, unsere Bildungssysteme sind in Logik, Geschäftsmodel und Prozessen im 20. Jahrhundert stecken geblieben und hoch ineffizient. Wir verbringen im Schnitt pro Kopf und Jahr 100-150 Stunden in Staus, um uns in ineffizientester Logistik unnötig zu Arbeitsplätzen, Messen, Megaunternehmen, Meetings oder sonstigen Zielen zu bewegen, wobei der zugrundliegende Zweck ohne all diesen Aufwand digital sogar besser lösbar wäre. Wohin waren wir geraten? Weiter auf diesem fatalen Weg?
Dann kam Corona. Ohne Masterplan. Geboren aus der unplanbaren und unvorhersehbaren Komplexität unserer Weltsysteme und hat all diese als Standard geglaubten Systeme zerrüttet. Kaum etwas bleibt mehr wie es war. Es ist so als würden unsere Systeme gerade komplett neu gebootet und bereinigt, fehlerhafte und nicht mehr lebensfähige Bausteine und Verkettungen entfernt. System-Schwächen werden brutal offengelegt. Gewinner sind all die, die jenseits von Pandemien und Veränderungen basis-systemrelevant und wandelbar sind.
Plötzlich zwingen uns die Fakten, digital zu innovieren und vieles von „das ist eben so“ neu zu denken und zu gestalten. Ja, es ist sicher nicht schön, dass Schulen und Universitäten auf Corona-Modus mit wenigen Präsenzveranstaltungen fahren oder geschlossen sind. Diese braucht es da und dort. Doch liegt aber nicht darin gerade die Chance Bildungssysteme und Prozesse neu zu denken? Ich habe zum Beispiel das letzte Jahr genutzt, um an zwei Fortbildungs- und Forschungsprogrammen in Stanford und Harvard teilzunehmen. Neben meiner Arbeit einmal drei Monate und sechs Wochen mit einem Einsatz von zwei Stunden pro Tag. Digital, live oder on demand. Hocheffektiv. Interaktiv. Vorträge, Diskussionen, Workgroups, Präsentationen, Dialoge, alle Formen einer lebendigen und produktiven Kommunikation über fortschrittliche digitale Plattformen mit hohem Nutzen. Ohne Corona hätte ich zu traditionellen Campusveranstaltungen in die USA reisen müssen, was, einmal ganz abgesehen von den Kosten für Logistik und Wohnen enorm viel Zeit und Abwesenheit von Beruf und Familie in Anspruch genommen hätte, weshalb ich diese Fortbildung und Forschungsangebote niemals hätte wahrnehmen können. Dank Corona nun eine Teilnahme, die mir Fortbildung Beruf und Familie parallel ermöglichte. Meine persönliche Lehre daraus ist, dass das, was in Fortbildung und Forschung möglich sein kann, auch für sonstige Ausbildung und Studiengänge möglich sein muss. Warum müssen Studenten oft weit fern der Heimat und günstigen Möglichkeiten zu wohnen an teure und völlig überlaufene Studienorte ziehen, um analoge Lehrpläne des 20. Jahrhunderts in irgendwelchen Hörsälen abzusitzen, um dann doch am Ende den notwendigen Schliff in Repetitorium oder guten Onlineprogrammen zu finden. Die EU-Kommission plant virtuelle Hochschulplattformen oder hat diese bereits in Gang gebracht. Allein für Deutschland nennt das Bildungsministerium in seiner Antwort sieben verschiedene Initiativen – auch das ein Zeichen, das hier noch viel Koordinierungsarbeit zu leisten ist. Doch von Seiten der Bundesregierung gibt es dabei bisher wenig Fortschritte, wie die Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion zeigt. Die Gründung einer „European Digital University“ (EDU) fordert die FDP-Fraktion. Bei der EDU sollen alle Europäerinnen und Europäer niedrigschwellig, digital und ortsunabhängig Zugriff auf die besten Lehrangebote Europas bekommen. Die EDU soll die Qualität und Vielfalt des Lehrangebots an europäischen Hochschulen und Hochschulnetzwerken nicht ersetzen, sondern fördern, indem sie mit Partnerhochschulen und anerkannten Wissenschaftseinrichtungen kooperiert. Die Lehrleistung für die EDU soll dezentral durch in ihren jeweiligen Hochschul- und Forschungskontexten verankerten Lehrenden erbracht werden. All das ist meines Erachtens eine richtige Entwicklung und ermöglicht vor allem noch mehr Bildungsgerechtigkeit und Bildungszugang eben auch für Menschen, die sich keine teure Logistik rund ein Universitätsstudium leisten können. Der Fokus auf digitale Lehrangebote ermöglicht die Einbindung von Zielgruppen, denen viele Lehrangebote aufgrund ihrer persönlichen, familiären, beruflichen, gesundheitlichen, finanziellen oder geografischen Situation anderweitig verschlossen bleiben würden. Dazu schonen wir noch Ressourcen und Umwelt, weil wir nicht täglich Tausende von Studenten in Städte rein und raus bewegen müssen. Präsenzen finden nur da statt, wo sie wirklich notwendig und von Nutzen sind für die entsprechende Ausbildung. Sie müssen dortstattfinden, wo, abei aller Digitalisierung, das Erlernen von sozialer Kompetenz, von direkter Kommunikation mit Mimik, Körpersprache und Sprachkultur essentiell ist. Diesen Spagat zwischen Digitalisierung und persönlich menschlichen Reifeprozess wird eine der Haupt Herausforderungen der künftigen Ausbildungswege sein.
Dies ist nur ein Beispiel, wo wir in einem bestimmten Sektor komplett neu denken müssen. Die Logik der klassischen Campus Universität, das Suchen von Studenten wurden und das tägliche Zeit absitzen in Hörsälen bei vielfach wenig effizienten Vorlesungen, würde damit der Vergangenheit angehören. Es ist Zeit neu zu denken.
Ähnliche Entwicklungen wird die klassische Büro-Welt erfahren. Natürlich brauchen wir persönliche Zusammenarbeit und persönliche Treffen, doch zwischen diesen lässt sich vieles völlig ortsunabhängig und digital wesentlich effizienter und effektiver erledigen. Niemand muss ich jeden Tag in irgendwelche Städte hineinschauen, teilweise 2-3 Stunden Lebenszeit vergeuden, um am Ende an einem ihm zugewiesenen Standard-Arbeitsplatz Dinge zu erledigen, die er vom Home Office aus genauso gut erledigen könnte. Während das Thema Home Office vor gut einem Jahr für viele Organisationen und Unternehmen in dem Umfang gar nicht denkbar war, haben viele dazugelernt und positive Erfahrungen gemacht. Es liegt auch sicherlich nicht an der Möglichkeit mit derlei neuer Arbeit Organisationsformen effizient und effektiv zu arbeiten, sondern es liegt an der althergebrachten Logik von bestimmten Abläufen und natürlich den jeweiligen Profiteuren der klassischen Struktur. Von den Verkehrsmitteln angefangen bis hin zu den Büroentwicklern und Bürovermietern sind und waren ja alle Profiteure der klassischen Logik von Büroarbeit. Diese zählen sicher zu den Verlierern virtuelle Organisationsformen und müssen sich ebenfalls neu erfinden. Auf der anderen Seite kann ich mich als Unternehmer mehr als erfreuen, wenn ich plötzlich mit weniger Fläche eine gleiche oder sogar höhere Produktivität im Unternehmen erreichen kann.
Wir haben Jahre des Stillstands hinter uns, der Selbstverwaltung, wir haben uns Fortschritt vorgemacht, ohne zu erkennen dass da gar keiner ist und wir im Gegenteil gegen die Zeit und gegen die Entwicklung gefahren sind und große Chancen verpasst haben. Corona ist für mich, ohne die dabei entstehenden Probleme zu verleugnen, jedoch die große Chance zur Destruktion althergebrachter Systeme, zum Reboot, zum Neuanfang und zur Neugestaltung unserer Gesellschaft, Systeme und Prozesse. Wenn wir diesen Wink des Schicksals als einzigartige und grundlegende Chance verstehen, im 21. Jahrhundert endgültig anzukommen und alte Logiken abwerfen, können wir insgesamt als Gewinner mit vielen Innovationen aus dieser Krise hervorgehen. Natürlich trifft diese Krise viele Schicksale hart, wobei sie für viele Zombie-Unternehmen und –Organisationen jedoch nicht mehr ist als der letzte und endgültige Sargnagel. Die aktuellen Betroffenen und Verlierer müssen sich aber auch vergegenwärtigen, dass ihr Geschäftsmodell einfach nicht robust genug ist, um komplexen Einflüssen zu widerstehen und dass es an der Zeit ist, neue Geschäftsmodelle anzudeuten.
Letztlich, springen wir einmal in die Yacht-Welt hinein, werden wir auch dort viele Veränderungen erfahren, ob wir wollen oder nicht, die vor einem Jahr überhaupt nicht denkbar waren. Allein die Messen in der Yacht-elt, angefangen von der Indoormesse Düsseldorf bis hin zu den großen Outdoor-Marinemessen in Cannes und Monaco war die gesamte Branche auf diese großen Events ausgerichtet. Seit einem Jahr finden diese nicht mehr statt. Dennoch boomt die Branche und sie findet neue und alternative Wege um die einzelnen Stakeholder zu vernetzen und ihre Angebote an den Kunden zu bringen. Auch hier werden digitale Präsentationsformen mit kleineren regionalen bzw. Spezial- oder Hausmessen Hand in Hand gehen. Ich bin mir sicher, dass wir in einigen Jahren auch hier in der Branche eine völlig neue Logik entwickelt haben werden.