„Wir schenken Ihnen unseren großen Schatz an Tipps rund ums Reisen, Lifestyle, Essen und Trinken. Dabei ist unsere Vision, dass man die Ferne und schöne Orte auch zu sich nach Hause holen kann. Denn Glück beginnt beim Träumen und Genießen.“
Anja Fischer hat als Unternehmerin bewiesen, dass sie fundamentalen Veränderungen im Umfeld ihres Unternehmens zu begegnen und ihr Geschäftsmodell bis hin zur Neuerfindung vorausschauend und mit Mut anzupassen versteht.
So wurde aus dem bis zur Pandemie sehr wachstumsstarken Nischen-Reiseanbieter „Siglinde Fischer“ eine Lifestyle Plattform, die im Wesentlichen keine Reisen mehr verkauft, sondern ausgewählt besondere „Charming Places“ vorstellt und damit die jeweiligen Anbieter promotet.
Mich beeindrucken die Klarheit der Reflexion und der Mut zur Veränderung wie auch das unternehmerische Geschick zur Neuausrichtung.
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(CS) Frau Fischer, wir sehen uns aktuell mit einer höchst negativen Gemengelage von Rahmenfaktoren konfrontiert, wie sie so bisher noch nicht erlebbar war: Corona, Krieg, Klimaveränderungen, Inflation mit massiven Kostensteigerungen, Infrastruktur Engpässe vor allem beim Fliegen… Welche Konsequenzen und Veränderungen kurz- und mittelfristiger Art sehen sie und was bedeutet dies für Nachfrageverhalten und touristische Geschäftsmodelle?
(AF) Ich halte es schon lange für unabdingbar, dass sich die Branche komplett neu erfinden muß. Der langjährige Trend, dem Konsumenten so viel wie möglich, so einfach wie möglich, so schnell wie möglich, zu dem günstigsten Preis wie möglich als Rundum Sorglos Paket zu verkaufen, kann auf Dauer nicht funktionieren. Das fliegt uns gerade komplett um die Ohren. Es besteht allgemein keine Reflektion darüber, dass dafür immer jemand einen hohen Preis bezahlen muß. Ob Hotelier, Leistungsträger, Mitarbeiter, Lieferant, die Destination, unsere Mutter Erde oder gleich mehrere davon. Ich zitiere hier Andreas Koch, einen Experten für Nachhaltigkeit im Tourismus, der es so formuliert: “Der Tourismus der Zukunft besteht aus der Summe der positiven Beziehungen die er fördert”. Es ist daher von allen Seiten ein verantwortungsvoller Umgang gefordert, das geht leider nicht anders, als den Konsumenten mit in die Verantwortung zu nehmen. Entsprechend werden sich die touristischen Geschäftsmodelle ändern (müssen), was sicher dazu führen wird, dass wir wieder viel mehr Abstriche machen müssen und uns eben so manche Reise nicht mehr leisten können. Sowohl finanziell wie aus ökologischen Gründen. Lieber weniger, dafür aber nachhaltig – in jeder Beziehung.
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(AS) Die Yachtbranche erfuhr trotz oder gerade wegen Corona einen Hype, da viele darüber ein schwimmendes Hideaway suchten. Inwieweit bieten „Charming Places“ wie Sie sie vermitteln noch Rückzugsorte? Ich erlebe leider selbst an solchen in deren Umfeld bereits wieder oder sogar nach 2020/21 steigend Massenansturm, der am liebsten fernbleiben lässt. Wo findet der Sucher individueller Ruhe und Sinnlichkeit noch eine Welt abseits des Massentourismus?
(AF) Eine gute Frage, die fast philosophisch ist. Meine persönliche Erfahrung, die sich in meiner Philosophie der Charming Places widerspiegelt: In der Einfachheit!
Diese ist wunderbar anhand der Zeilen von Hartmut Rosa in seinem Buch “Unverfügbarkeiten” erklärbar:
“Erinnern Sie sich noch an den ersten Schneefall in einem Spätherbst oder Winter Ihrer Kindheit – es war wie der Einbruch einer anderen Realität. Etwas Scheues, Seltenes, das uns besuchen kommt. Das sich herabgesenkt und die Welt um uns herum verwandelt ohne unser Zutun, als unerwartetes Geschenk. Der Schneefall ist geradezu die Reinform einer Manifestation des Unverfügbaren. Wir können ihn nicht herstellen, nicht erzwingen, nicht einmal sicher vorher planen, jedenfalls nicht über einen längeren Zeitraum hinweg. Und mehr noch, wir können des Schnees nicht habhaft werden, ihn uns nicht aneignen, wenn wir ihn in die Hand nehmen, zerrinnt er uns zwischen den Fingern und wenn wir ihn ins Haus holen, fließt er davon und wenn wir ihn in die Tiefkühltruhe packen, hört er auf, Schnee zu sein.”
Der “Schneeflockenmoment “ist der Augenblick, der die Menschen glücklich macht. Perfektionismus, die Alles-Verfügbarkeit ist daher das Gegenteil eines solchen Augenblicks und beraubt uns um diesen Zauber.
Die Orte und Momente, diese zu erleben, sind auf unserer schönen Welt noch reichlich vorhanden. Folgen Sie meinem Kanal, in dem ich Ihnen etliche davon verrate. 🙂
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(CS) Der Tourismus überholt sich ständig selbst. Aus Hotels werden „Ressorts“, aus charmanten Orten „Destinationen“, aus Skigebieten „Hypertechnologische Maschinenparks“, „Ischgl und Corona“…. Wo soll das vor allem vor dem Hintergrund der klimatischen Veränderungen hingehen? Was sind die Alternativen und was wird für die geboten, die genau diese Hyperentwicklung nicht wollen?
(AF) Ich nehme mindestens genauso einen Gegentrend wahr, der sogar stark zunimmt. Vielerorts geht es weg von der Masse hin zur Klasse. Da ich mich schon jeher im Nischensegment bewege, habe ich hier auch sehr viel positive Erfahrung und nehme einen zunehmend bewussten Umgang mit den Ressourcen wahr. Noch nicht ausreichend, aber zumindest zunehmend.
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(CS) „Wann wird´s mal wieder richtig Sommer“ sang Rudi Carrell in den 70ern und meinte damit aber eher die 28-30 Grad Sommer, über die wir uns damals freuten. Dagegen erleben wir gerade einen „40 Grad“-Dauer-Sommer selbst in Mitteuropa. Südeuropa grillt und brennt. Was bedeutet dies generell aus Ihrer Sicht für den Tourismus und wie wird dies die Angebote bei „Charmingplaces“ beeinflussen?
(AF) Leider dramatisch und sehr besorgniserregend. Umso mehr gilt ein radikaler Wandel. Das haben wir, glaube ich, alle verstanden. Doch ist der leider aktuell nicht in Sicht. Ich weiß nicht, was noch passieren muß, bis wir vom Verstehen ins Handeln kommen. Aber zu Ihrer Frage, was das für den Tourismus bedeutet: ich glaube die Pandemie hat uns allen gezeigt, was das für den Tourismus bedeutet. Eine ähnliche oder noch schlimmere Situation ist mehr als realistisch. Was das für Charmingplaces bedeutet? Ich war 2020 bereit, alles loszulassen und das Business Modell komplett zu transformieren. So habe ich keine Angst davor, dies erneut zu tun, wenn ich das Gefühl der Perspektivlosigkeit habe und davor mich darin selbst zu verlieren. So werde ich hoffentlich immer Wege finden, Menschen besondere Orte zugänglich zu machen, die ihnen Momente des Glücks schenken.
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(CS) Bitte wagen Sie mit Ihrer Erfahrungssicht einen Blick in „Glaskugel des Tourismus“: Wie werden wir 2035 Urlaub machen?
(AF) Dieser Blick in die Zukunft beschränkt sich nicht nur aufs Reisen, sondern es geht die Frage voraus, wie wir in Zukunft leben wollen. Wenn wir darauf eine Antwort haben, ergibt sich die Frage nach dem wie wir Urlaub machen wollen eher von selbst.
Doch eine Überschrift für unseren Urlaub 2035 will ich als Idealistin in dieser Form geben:
Intensiver statt mehr. Bewußt, statt flüchtig. wertschätzend statt dumping. Klasse, statt Masse.
Liebe Frau Fischer, herzlichen Dank, dass Sie Ihre Gedanken mit uns teilen. Alles Gute.