Chaos, Ratlosigkeit und Infarkt: Tourismus- und Reisebranche blamiert sich

Bei der Buchung für 2023 in unserem Stamm-Ski-Hotel überraschte  uns einer Preiserhöhung von gut 25% zu 2022. Auf Rückfrage kam seitens des Hotels  als Antwort:

„Bei den derzeitigen Preiserhöhungen von Lebensmitteln, Energie, Gemeindeabgaben usw. liegen wir meist über 10 %. Noch mehr steigen werden vor allem die Personalkosten, ein großer Kostenfaktor im Tourismus. Während der letzten Wintersaison haben im Ort ca. 700 Mitarbeiter gefehlt. Durch den kompletten Lockdown im Winter 2020/21 haben viele Mitarbeiter vom Tourismus in einer anderen Branche eine Jahresstelle angenommen, die kommen alle nicht mehr zurück. Diese frei gewordenen Stellen sind mit neuen Mitarbeitern sehr schwer nachzubesetzen. Die Löhne im Tourismus werden daher in Zukunft stark steigen, damit eine Saisonstelle für einen Mitarbeiter noch in Frage kommt. Wir möchten ja unsere Betriebe möglichst so weiterführen, wie wir es in den letzten Jahren gemacht haben. Mit einer halben Belegschaft würde dies dann leider nicht mehr möglich sein. Einige Hotels und Pensionen bei uns bieten keine Halbpension mehr an, sondern nur noch Übernachtung mit Frühstück. Es gibt sogar schon Betriebe, die auf Ferienwohnungen umgebaut haben und dann gar keine Verpflegung mehr anbieten. Leider entwickelt sich verschiedenes im Tourismus nicht so positiv.“

Ja, ich habe versierte Hotelkräfte kennengelernt, die in die Baubranche wechselten. Vom Mâitre d’Hotel zum Baggerfahrer! Begründung: Ich brauche einen sicheren Arbeitsplatz, um meine Familie zu finanzieren. Tourismus = Unsicher.

Was ist da passiert, denn die Hotels haben in der Pandemie in Österreich eine recht erkleckliche staatliche Kompensation bekommen? Viele haben die Zeit sogar für Baumaßnahmen und Investitionen genutzt. Haben sie es etwa versäumt, gute Mitarbeiter zu halten, diese weiter zu qualifizieren und ihnen eine Perspektive in der Branche zu bieten?  Langfriststrategie Fehlanzeige?

Diese Entwicklung deckt sich aktuell mit dem Zustand bei Bahn und Luftverkehr.

Im Steingart-Briefing heißt es am 30.06.2022:

„Nach dem Lockdown ist vor dem Verkehrsinfarkt. Den großen Verkehrsträgern der Bundesrepublik, dem Flugzeug, der Bahn und der Straße, will die Rückkehr zur Normalität einer mobilen Gesellschaft nicht gelingen. In einer nie dagewesenen Demut traten der Bahnchef und der Vorstandsvorsitzende der Lufthansa nun vor ihre Kundschaft, um sich zu entschuldigen.

Die Flughafenbetreiber lassen die Airlines und deren Kunden hängen. Im Zuge der Corona-Krise wurden Busfahrer, Kofferträger und anderes Bodenpersonal entlassen, was sich nun als kurzsichtig erweist. Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft fehlen beim Luft- und Bodenpersonal 7.200 Beschäftigte an den Flughäfen. Das Wort Fluggastabfertigung klang früher wie eine Drohung, heute wie eine unerfüllbare Sehnsucht.

Die Unzuverlässigkeit hat es im deutschen Flugverkehr ist einzigartig. Die Passagiere sehen sich einer Willkür ausgesetzt, die im Wesentlichen auf fundamentalen Managementfehler beruht. Dilettantischer Umgang mit der Krise und dem Bereithalten für den Wiederanstieg! Im Zentrum steht der strategiefreier Abbau während Corona und ein noch strategiefreieres Zulassen des Hochlaufs des Flugbetriebs ohne, die entsprechenden Kapazitäten in der Kabine und am Boden sicherzustellen. An jeder Business-School lernt man wie wichtig das Bestellen des unternehmens-Gartens gerade in der Krise für die Zeit danach ist.

  • Die Abflugpünktlichkeit hat sich extrem verschlechtert. Der pünktliche Start einer Maschine wurde vom Regel- zum Ausnahmefall.
  • 300.000 Passagiere hatten Flugausfälle. Insgesamt wurden 2993 Flüge (circa sechs Prozent) gestrichen. 2133 davon wurden mit weniger als 72 Stunden Vorlauf abgesagt.
  • Bei den Fluglotsen, die vom Staat beschäftigt werden, gibt es personelle Engpässe, die sich negativ auf den Flugbetrieb auswirken. Diese Problematik sei Verspätungstreiber und für 20 Prozent aller Verspätungen verantwortlich.
  • Die Flughäfen als die wichtigsten Partner der Fluggesellschaften sind momentan dysfunktional. So hat allein Fraport bis 2021 sein Personal drastisch um rund 4000 Stellen reduziert. Nach Angaben des Flughafenverbands ADV ist momentan ein Fünftel der Stellen bei den Bodendiensten unbesetzt. Viele haben den Job gewechselt.
  • Hoher Krankenstand. So fehlen bei der Lufthansa in der Kabine neun Prozent, im Cockpit sechs Prozent und beim Bodenpersonal gar 25 Prozent der Beschäftigten.

Der Umstieg auf die Bahn ist nur für Masochisten eine Alternative. Die Züge sind ähnlich gut gefüllt wie die Viehtransporter von Tönnies. Nur dass die Viehtransporter pünktlich sind.

Im Fernverkehr erreichten im Mai gerade einmal 62 Prozent der Züge ihr Ziel rechtzeitig. Bahnchef Richard Lutz hat bereits kapituliert. Sein für das Gesamtjahr gestecktes Ziel von 80 Prozent hält er schon seit Mai für unrealistisch.

Zuständig für den Bahnchef ist der Verkehrsminister, aber die Minister der vergangenen Dekade schienen allesamt mit der Komplexität überfordert zu sein. Peter Ramsauer, Alexander Dobrindt, Andreas Scheuer und nun Volker Wissing waren und sind Parteipolitiker ohne verkehrspolitisches Fachwissen. Sie kamen als Auszubildende in das Ministerium, wo sie sich im Irrgarten der Sachzwänge verliefen.

Die Infrastruktur ist zu alt und es gibt zu wenig davon. Man ist 40 Jahre lang auf Verschleiß gefahren.

Die öffentliche Infrastruktur verfällt. Allein 4000 Brücken müssen in den nächsten acht Jahren saniert oder erneuert werden.

Die Projekte der digitalen Verkehrssteuerung werden regelmäßig gelobt, aber nie eingeführt. Die letzte technische Innovation im deutschen Verkehrswesen war die Einführung der elektrischen Verkehrsampel im Jahr 1937.

Im vergangenen Jahr registrierte der ADAC trotz Corona rund 685.000 Staus auf den Autobahnen. Die Gesamtlänge betrug 850.000 Kilometer, eine Strecke, die bis zum Mond und wieder zurück reicht.

Insgesamt stand der Verkehr in 2021 rund 350.000 Stunden still. Jeder deutsche Pendler stand 40 Stunden lang im Stau, progressive Pendler tun es neuerdings elektrisch. Für 2022 sagen alle Experten eine deutliche Zunahme des Verkehrsstillstandes voraus.“

Dem ist wenig hinzuzufügen.

Kurzsichtigkeit ohne strategische Kompetenz, mangelnder Sach- und Fachverstand, Überforderung mit komplexen Systemen. Der Infarkt ist hausgemacht und wird auf dem Kunden ausgetragen, sei es, dass Hotelkosten wegen eigener Fehlplanung dem Kunden aufgebürdet werden oder der Kunde zum Objekt eines vermeidbaren Verkehrschaos wird.

Zudem war mit einem Rebound zu rechnen, gehört Reisen und Tourismus wohl zu einem Grundbedürfnis. Und nach zwei Jahren des Eingesperrt-Seins sehen sich alle vermehrt nach Tapetenwechsel…

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