Die „Erfolgs“-Blase der Yachtindustrie

Die Yachtindustrie feiert sich derzeit selbst. Die Pandemie hat die Nachfrage nach Booten deutlich steigen lassen und die Auftragsbücher sind voll. Lieferzeiten bis 2024 keine Seltenheit.

Pressemeldung der boot Düsseldorf am 27.10.2021: „Die Aussteller der boot sind voll auf Kurs Richtung Düsseldorf“, freut sich Messechef Wolfram Diener und berichtet von einem einzigartigen Zuspruch der Branche. Nicht nur bei Segel- und Motorbooten, sondern auch im Luxusyachtsegment … werden die Global Player wieder in Düsseldorf an Land gehen. Die internationalen Bootsmessen der vergangenen Wochen haben der Branche noch einmal einen tüchtigen Rückenwind verschafft.“

Ich sehe solch ausgelassene und zur Schau gestellte Freude mit Skepsis, weil ich erlebe, wie die Deals jenseits der Showbühne gehandhabt werden. Nach der Messeeuphorie und den großen Announcements wartet die Realität der Umsetzung und Erfüllung!

Mir bereitet die Entwicklung beim Blick hinter die Kulissen des Zirkus Sorge, türmen sich eine Reihe von Risikofaktoren, die gerne ausgeblendet werden. Hier werdem Kauf-Abschlüsse und nicht vertragsgerecht-pünktlich ausgelieferte Boote zu ausgewogenen Verkäufer-Käufer-Konditionen in einer Qualität, die „built to last“ und zufriedene Kunden rechtfertigt, gefeiert.

1. Neue Kunden im Markt kaufen anders

Die Pandemie wirkte wie ein Katalysator und Brandbeschleuniger für den Eintritt neuer Käufergruppen in den Yachtmarkt. „Die Yacht ist ein schwimmender Rückzugsort in Distanz und auch ich möchte eine haben“ sind Argumente, die wir hören. Keine Yachting-Affinität, keine Erfahrung mit dem Betrieb einer Yacht. „Haben wollen“ zählt. Die Yacht als mobiles Hideaway, auf dem in Distanz trotz aller Lockdowns und Infektionsrisiken ein luxuriöser Ferienaufenthalt möglich war und ist.

Nachhaltiges Wachstum?

Während früher sich Yachting affine Kunden langsam an das Thema herantasteten und sich die Welt des Yachting stufenweise solide erschlossen, habe ich bei manchem Neueinsteiger eher das Gefühl, dass die plötzliche “Yachtliebe” eine Sternschnuppe der pandemische Galaxie ist, als dass daraus ernsthafte Yachteigner werden könnten.

Folgende Typologien haben wir erfahren:

  1. Der pandemische “Erlebnishungrige”. Raus aus den Restriktionen und Kauf einer EIGENEN Yacht auf Zeit mit dem bewussten Ziel, sie nach dem Genuss wieder zu verkaufen, vielleicht sogar am Zielort, z.B. in der Karibik. Hier haben wir den Exit von Anfang an mit eingebaut.
  2. Der “Investor”: Yacht als Geldanlage, d.h. neben der Eigennutzung als schwimmendes Hideaway mit der Familie soll die Yacht darüberhinaus Geld verdienen, kommerziell einsetzbar und bestmöglich ausgelastet sein.
  3. Der “Pandemie-Hysterische”: Yachtkauf als Distanzmodell um jeden Preis und egal welcher Zustand, bevor ein anderer den Markt leerkauft.

Charakteristisch waren zu entdeckende Kaufgewohnheiten: Stante pede wurde auf eine für den Anfang zu große Yacht gesetzt, ohne im Ansatz eine Ahnung über die Kaufmodalitäten, den Betrieb, das Crewing, die rechtlichen und steuerlichen Bedingungen sowie die Folgekosten zu haben. Viele waren mit dem Besitz und Betrieb realistischerweise überfordert und es kam schnell zu Problemen.

Auf viele Neulinge wartet die Erkenntnis, dass sie solch riesiges Teil nicht einfach wegparken können. Es verlangt Zuwendung und nicht enden wollendes Investment.

2. Verträge die Erschauern lassen

Mangels Erfahrung wurden ungeprüfte und nicht ausreichend verhandelte Käufe und Kaufverträge geschlossen. Der Wille, ohne vorheriges Betriebskonzept und Kenntnis, was in die Verträge solch komplexer Produkte unbedingt einfließen muss, möglichst rasch zum Kaufabschluss zu kommen, stand im Vordergrund.

Die Verkäufer diktierten die Konditionen und drohten mit rasch längeren Lieferfristen, stimmt der Kunden nicht schnell zu.

Ich habe Verträge gesehen, in denen Eignerrechte völlig unterrepräsentiert bzw. falsch geregelt waren, Rechtswahl und Gerichtstände den Eigner im Streitfalle geopolitisch, rechtlich und kostentechnisch in höchste Bedrängnis bringen könnten. Vor allem sind die Meilensteien und Lieferfristen derart weich und variabel formuliert, dass die Lieferanten sich jeden Verzug sanktionslos vorbehalten. Sie beugen damit den absehbaren Kapazitätsengpässen vor.

3. Ersticken am Erfolg mangels gesunder Finanzierung

Volle Auftragsbücher sind mitnichten ein Beweis für eine lebensfähige Unternehmung.

Ich kenne Werften, die derart unterfinanziert sind, dass sie die – in keiner Weise abgesicherten – Anzahlungen der Neukunden benötigen, um den Bau der Halbfertigyachten zu finanzieren (die dafür vorgesehenen Anzahlungen wurde gebraucht, um andere Löcher zu stopfen). Ein regelrechtes „Schneeballsystem“, bei dem im Falle von Insolvenzen die letzten Kunden in der Futterkette die Zeche zahlen.

4. Volle Auftragsbücher – keine Kapazitäten

Es werden Aufträge angenommen, obwohl keine ausreichenden Kapazitäten vorhanden sind.

Bereits bestehende Yachtbauaufträge wurden bereits um ein Jahr oder mehr prolongiert und dennoch werden neue Aufträge mit Auslieferungszusagen agenommen, die grob fahrlässig von vorneherein nicht einhaltbar sind. Der Rückstau an Halbfertig-Projekten erlaubt dies nicht.

5. Keine Sicherheiten

In einem seriösen Yacht-Kauf- oder Bau-Vertrag ist zu regeln, wie die Anzahlungen des Käufers für den Fall einer Nichterfüllung abgesichert werden. Dafür genügt nicht eine Bau-Hypothek, denn kaum ein Käufer kann eine halbfertige Yacht am Markt sinnvoll verwerten.

Die geringe Eigenkapital- und Cash Flow – Decke vieler Werften erlaubt z.B. keine Performance-Bau-Bürgschaft einer seriösen Großbank auf erstes Anfordern. Natürlich kann ein Käufer diese dann extrem teuer finanzieren. Besser wäre für ihn die Frage zu beantworten, ob er mit der Werft seiner Wahl den richtigen Geschäftspartner für sein Projekt hat. Nach unserer Erfahrung macht kaum ein Eigner/Käufer einen Bonitäts-Due Diligence Check für die Werft, der er 1-3 Jahre sein Geld anvertraut.

6. Kein Fachpersonal

Generell und verstärkt durch Entlassungen während der Pandemie, fehlen den Werften qualifizierte und laufend geschulte Yacht-Facharbeiter und eine Mindest-Wertschöpfung im eigenen Hause. Stattdessen wird in einem unverantwortlich hohen Maße outgesourced und Firmen ohne spezifische Yacht-Erfahrung beauftragt. Einem Haus- und Hofelektriker fehlt die spezifische Kompetenz zum Yachtbau.

Dazu ist eine Yacht ein zu komplexes Produkt in einem noch komplexeren Medium Wasser. Die Kräfte und Einflüsse auf eine Yacht unter extremen Nutzungsbedingungen sind speziell.

7. Qualitätsmängel

In Summe vieler vorgenannter Faktoren kommen Yachten mit minderer Qualität und versteckten Mängeln auf den Markt.

In den letzten Jahren kam es zu übermäßig hohen Sink-Quoten bei neuen und neuwertigen Yachten. Ursachen: Elektrische Systeme und Verkabelungen sind mangelhaft, Schottwände halten dem Wassereintritt nicht stand; Lenzeinrichtungen nicht genügend Wasser weg usw.

Dazu eine wachsende Zahl von lichterloh brennenden Yachten bei relativ kleinen Ursachen, wie z.B. eine überhitzte Pfanne in der Küche:

Split: Yacht-Millionenschaden bei Feuer-Inferno MARINA KASTELA – Superyachtforum

8. Nachhaltigkeit – das neue Modewort

Auf den Herbstmessen kam das Thema Nachhaltigkeit auf und die Visionen, die damit verbunden sind. All das ist nur ein Kompromiss. Rein umwelt- und klimatheoretisch wäre jede Yacht weniger, die die Umwelt belastet, eine gute Yacht. Dies nicht wollend, ist eine große Yacht weitgehend „umweltneutral“ zu gestalten, eine visionäre bis utopische Herausforderung jenseits aller aktueller Parolen der Branche.

Ich fände es spannend, ein eigenes Kapitel in Yachtkaufverträgen zu verankern, in denen es um „Sustainability“ geht mit konkreten Meilensteinen und Commitments für die Hersteller. Vor allem müssen die Käufer mitspielen und zu investieren bereit sein.

siehe auch: Oxfam 2021

9. Der Kunde als Träger des wirtschaftlichen Risikos der Hersteller

Der Kunde, vor allem der unerfahrene, bleibt der überwiegende Risikoträger. Er finanziert die Party und feuert mit seinem Auftrag die Stimmung in der Branche, nicht wissend, ob und wann er seine TraumYacht bekommt. Die Partylaune weicht der Realität.

Und hat er diese nach viel Hin und Her endlich, haben seine Gewährleistungs – und Garantieregelungen zeigen, ob und wie sie ihn zumindest wirtschaftlich schützen; vom Ärger mit laufenden Mängeln und Nachbesserungen abgesehen.

Auch bei Gebrauchtyachten zeigen sich Käufe, von denen besser abzuraten wäre.

Da der Markt leergekauft ist und Neuyachten meist Lieferzeiten haben, die nicht in der kommenden Saison liegen, es sei denn, sie haben das Glück eine Stock-Yacht zu erwischen, wenden sich viele Kunden Gebrauchtyachten zu. Eine Yacht muss es sein. Jetzt! Zuschlagen, bevor es andere tun. Nicht immer werden das gute und wirtschaftliche Käufe.

  1. Oft wird zu groß gekauft und nicht die Folgekosten und der Betriebsaufwand bedacht. Eine 27 m für 700T€ klingt zwar schön, hat einen riesigen Refitbedarf und jedes Ersatzteil kostet nicht auf dem Level einer 700T€ Yacht, sondern auf dem einer 6 Mio Yacht, denn das wäre der Neupreis. Dazu kommen teure Liegeplätze, Crew, Logistik.
  2. Es besteht kein Betriebskonzept; es wird eine Yacht für eine Genuss-Saison, oft im weiten Ausland, gekauft ohne eine Idee, was danach mit der Yacht wird. Plötzlich wird sie erneut auf dem Markt mit hohen Verlusten angeboten; Chartern wäre einfacher und kostengünstiger gewesen.
  3. Die Yachten werden nicht ausreichend technisch untersucht bzw. von nicht registrierten „Fachleuten“.
  4. Rechtlicher und steuerlicher Status (VAT PAID) ungeprüft.

The Party must go on! Wie lange noch? Schauen wir mal…

Eine Antwort auf „Die „Erfolgs“-Blase der Yachtindustrie“

  1. Sehr geehrter Herr Prof Schliessmann

    Ihr Artikel «die Erfolgsblase der Yachtindustrie» seziert die Thematik exakt und Sie bringen die Problematik auf den Punkt.
    Kaum ein Käufer wird im Feuer der Leidenschaft seinen ersten Yachterwerb unter streng ökonomischen und qualitativen Gesichtspunkten tätigen. Stünden diese im Vordergrund, kämen wohl viele Wassersportbegeisterte nur schwer ins Handeln.
    Vielmehr entscheiden im Nachgang Anzahl und Qualität der Erfahrungen bzw. die individuelle Resilienz und Fähigkeit Coping Strategien anzuwenden darüber, ob in der Quintessenz eine Fortsetzung erfolgt, sowohl in der Etablierung des Abenteuers «Yachting», als leidenschaftlich betriebenes maritimes Hobby, als auch und gerade vor dem Hintergrund ökonomischer Gesichtspunkte, in der Wandlung zu einem kostendeckenden oder im Idealfall lukrativen Gewerbe.
    Zur Orientierung und Steuerung des Einstiegs in das Yachtgeschäft sind Quellen wie Expertenforen und Fachmagazine äusserst hilfreich, lassen aber gerade im Hinblick auf die Produktauswahl der «idealen Yacht» viele Fragen unbeantwortet.
    Sind bspw. Langzeittests und Gutachterberichte in der Autobranche längst als Goldstandard etabliert und beeinflussen die Kaufentscheidung von Millionen Kunden, scheint dieser Sachverhalt im Yachtgewerbe eher stiefmütterlich behandelt.
    Darüber täuschen denn auch Hochglanz-Webseiten der Werften oder Erstbeschreibungen und Kundenbefragungen renommierter Fachzeitschriften hinsichtlich der Bewertung neuer Yachten nicht hinweg; es mangelt schlicht an objektivierbaren Kriterien, um die Produktauswahl massgeblich und unabhängig des Eingangs erwähnten «Feuers der Leidenschaft», zumindest im Rahmen des Ersterwerbs, massgeblich zu beeinflussen.
    Wo doch gerade hier für den Kunden ein machtvolles Instrument bestünde, den Werften ein Change-Management aufzuzwingen.
    So halten wir es vorerst wie voraussichtlich die breite Masse an stimmlosen Yachtenthusiasten und entscheiden nach der Erfahrung der ersten ein bis zwei Jahre, ob wir der Marke und dem Händler treu bleiben oder die Werft wechseln. Andererseits werden wir versuchen über die ersten 12 Monate und 2000 sm einen objektiven Qualitätsbericht zu erstellen und zu publizieren.
    Appellieren möchte ich insbesondere an die renommierten Fachmagazine, Yachtgutachter und Privatbesitzer, ihre Erfahrungen möglichst breit und objektiv zu publizieren, um eine dringend erforderliche Sensibilisierung am Markt zu erzeugen, von der letztlich beide Seiten mittelfristig profitieren können, die Werften und deren Kunden.

    Prof. Dr. med. Hans-J. Richter-Schrag

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