Buchrezension „Chefsache Anwaltscoaching“

Berliner Wissenschaftsverlag 2022, 695 S.

Johanna Busmann´s umfangreiches Werk versteht sich in oft provokativer und bewusst frecher, genderfreier Sprache als Reflexions- und Ideengeber für Anwälte, die natur- und ausbildungsgemäß zum einen mit solchem Stoff kaum konfrontiert werden und zum anderen auch damit wenig umgehen können, weil die unternehmerisch-strategische Kompetenz fehlt.

24 Themenkapitel auf 695 Seiten sind selbst für Wissenschaftler ein Berg, den es zu erklimmen gilt. Tatsächlich ist das Buch für den selbständig erfahrenen Anwalt und Strategen eine Herausforderung. Auch wenn Busmann empfiehlt, das Buch nur selektiv nach interessierten Themengebieten zu lesen, so wird sich der in den bearbeiteten Fragen ungeübte „Laie“ schwer tun, den für ihn relevanten  „Roten Faden“ und vor allem im Sinne von Analyse – Strategie – Umsetzung eigenständig  sein Lösungskonzept zu finden. Weniger wäre mehr, dafür geordnet und klar.

Es liegt auf der Hand, dass das Buch, dessen Kapitel sich großteils auch auf der umfangreichen Internetpage von Johanna Busmann wiederfinden, eine Visiten- und Akquise-Karte für sie selbst sind und sie sich damit legitimer Weise als Begleiter und Coach eben dieses Weges empfiehlt. Gerade dafür hätte ich mir mit dem Buch etwas Eigenständiges gewünscht und keine Zusammenfassung der Homepage. Kürzer, prägnanter, spezifischer in der Problemauswahl, klarer im Aufbau und Sprache.

Ich finde es großartig, dass Busmann das Thema „Unternehmensführung für Anwälte“ mit diesem Buch überhaupt angeht. Der Wert des Buches liegt bereits im Zusammentragen vieler Problemfelder, deren Theorie mit Anekdoten aus den Erfahrungen als Coach lebendig und transparent gemacht wird. Busmann trägt gängige Management- und Leadership-Instrumente und Denkmodelle zusammen und versucht diese auf die von ihr erfahrenen Problemfelder der Kanzleiführung anzuwenden. Leser, die bereits Wissen und Erfahrung mit Unternehmens- und Kanzleiführung haben, finden wertvolle Anregungen, Laien müssen sich schwer tun.

  • Das Buch liest sich generell nicht einfach, weil ihm (bewusst?) der rote Faden fehlt. Es ist ein Zusammentragen von Themenkapiteln, bei denen man erst reinlesen muss, um dann ggf. festzustellen, dass man sich dort nicht wiederfindet. Mir fehlt am Anfang aller Kapitel ein Leitfaden: Für wen und welche Probleme sind welche Kapitel hilfreich und was erwartet mich dort als Lesenutzen?
  • Die Kapitel selbst sind ein Springen in der Darstellung ihrer Bausteine. Problembeschreibung, Erfahrungen und Wissen als Coach, Fall-Anekdote, Vorstellen und Transfer-Anwendung von Management-Instrumenten. Nicht immer überzeugen die Kapitel in ihrer Schlüssigkeit und Stringenz. Am Anfang steht der Wiedererkennungseffekt eines zentralen Problems. Spannend denkt der Leser, wie schaut die Lösung aus? Ungeachtet, dass kein Kapitel ein Patentrezept auf alle möglichen Einzelfallsituationen liefern kann und will, so wünscht und erwartet der Leser doch eine klare Lenkung der eigenen Reflexion und prägnante Hilfen zum Lösungsansatz. Leider verlieren sich die oft nicht enden wollenden Kapitel in Redundanzen. Oft wird zu viel gewollt und die Prägnanz leidet. Eigene Erfahrung, Analyse und Ratschläge, Theorie und Praxis, Anekdoten und dann der Versuch komplexe wie auch 08/15 Management-Instrumente (die wirklich spannenden fehlen) vorzustellen und anzuwenden überfrachten, ermüden und lassen am Ende den Leser im Stich. Am Anfang jedes Kapitels würde ich mir ein Management-Summary wünschen unter dem Titel „Lessons to Learn“. Fundierte Thesen und Aussagen zu den Erkenntnissen im jeweiligen Kapitel.
  • Manche Empfehlung ist leichter gesagt als in der Praxis strategisch gelöst. The Client is the Boss und betreibt heute brutales und absurdes Forum-Shopping mit sinkendem Respekt gegenüber Anwälten. Der Anwalt als intellektueller Gladiator, der sich immer preisgünstiger in den Ring stellen muss. Der Klient liefert selten ein klares Ziel-Aufgaben-Briefing, noch kennt er sein Problem richtig, fragt aber als erstes nach dem Preis! Love it – Leave it – Change it – nett aber oft nicht möglich. Was da draußen in den letzten fünf Jahren vor allem anders geworden ist, kommt im Buch zu kurz.
  • Der Tatsache, dass der Anwaltsmarkt in seiner Ist-Logik hoch ausdifferenziert ein „Roter Ozean“ ist,  in dem nur auf bestimmten Positionen ein auskömmliches Existieren möglich ist, ist kaum Rechnung getragen. Spannend wäre gewesen, in einem Kapitel nur über disruptive Innovationschancen im Anwaltsberuf nachzudenken, getreu einer Anekdote des holländischen Schachmeisters Jan Hein Donner, der einmal gefragt wurde, was denn seine Strategie wäre, wenn er gegen IBM Deep Blue antreten müsste (1996 wurde Gary Kasparov von IBM Deep Blue geschlagen). Er dachte kurz nach und sagte: „Ich würde einen Hammer mitbringen …“. Wo liegt der Hammer im Anwaltsmarkt, wo alle weitgehend das Gleich anbieten? Maximal evolutionäre Innovation. Alter Wein in neuen Schläuchen und jeder behauptet darin der Beste zu sein. Völlige Intransparenz für den Klienten. Die alten Geschäftsmodelle bleiben. Überlebenswichtige neue markterschaffende Innovationen bleiben aus. Wie sähe ein „Geschäftsmodell Recht“ wirklich neu gedacht aus? Wie könnte eine neue Modell-Logik des Anwalts-Marktes aussehen?
  • Führung in Großkanzleien: Ein m.E. fast unlösbares Problem, denn solche sind effektiv Gemeinschaften von Alpha-Tieren und ihrem Teams ohne – wie in Unternehmen Vorstand oder Geschäftsführung – eindeutiger Leitungskompetenz. Darauf lassen sich übliche Leadership-Modelle nicht anwenden.

Was ich gerne – jenseits des Buches – anregen und mit Johanna Busmann diskutieren würde:

  • Rechtsmarkt als Käufermarkt: Darauf sind Anwälte kaum eingestellt, trotz hochtrabender Homepages, Videos oder modernen Social-Media-Kommunikation. Kein Kunde kauft „Gesellschaftsrecht oder M&A“, warum verkaufen wir das aber so?

Wie kann ein Anwalt aus diesem roten, intransparenten und umkämpften Sumpf  sich einen Blauen Ozean schaffen, zur echten Marke werden, einen Verkäufermarkt erschaffen?

  • Wo liegen markterschaffende Innovationen und wie kommen Anwälte dort hin? Was sind die Voraussetzungen?
  • Was ist ein „guter“ Mandant? Führung, Schutz und Erziehung gegenüber Klienten. „Hüte Dich vor dem eigenen Mandaten“ gab mir ein Anwalt als Referendar mit und ich musste leider schon oft das erfahren, was ich mir vor Jahrzehnten nicht vorstellen konnte: Das ein Klient dem eigenen Anwalt mit dem Anwalt droht, nicht weil er einen Fehler gemacht hat, sondern weil er sich nicht so instrumentalisieren lässt, wie der Mandant sich das vorstellt.
  • Die virtuelle Kanzlei. Wissens- und Lösungsmanagement jenseits Glas, Beton oder Jugendstil. Effiziente Wissensvernetzung und Vertretung.
  • Wertschöpfung durch Mehrwertschöpfung. Vergütungsmodelle jenseits von Gebührenordnung und Zeithonorar.

Fazit: Ich empfehle das Buch, gerade weil ich ihm kritisch gegenüberstehe, jedem Anwalt, der bereit ist, sich aktiv und etwas Zeit mit den Themen auseinanderzusetzen und seine eigenen Gedanken zu machen. Wer leichte Lektüre und die „5-Minuten-Terrine“ zu mehr Kanzlei-Erfolg sucht, lasse die Finger davon. Er wird überfordert und enttäuscht.

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