Gefahr der Interessenkollision: Sachverständigentätigkeit im Konzernumfeld von Versicherern

I. Problemaufriss

Die Unabhängigkeit und Neutralität von Sachverständigen ist Grundvoraussetzung für deren Glaubwürdigkeit und die gerichtliche oder außergerichtliche Verwertbarkeit ihrer Gutachten. Eine zunehmend relevante Konstellation ergibt sich, wenn Sachverständige gesellschaftsrechtlich mit einem Versicherungsunternehmen verbunden sind – sei es durch Konzernzugehörigkeit, Beteiligungsverhältnisse oder Eingliederung in eine Unternehmensgruppe.

Insbesondere im Bereich der technischen oder betriebswirtschaftlichen Begutachtung von versicherten Risiken, Schäden oder Haftungsfragen führt dies zu einer strukturellen Interessenkollision, die mit den Anforderungen an eine objektive Beweiserhebung nicht zu vereinbaren ist.


II. Rechtlicher Rahmen

1. Zivilprozessuale Maßstäbe

Sachverständige unterliegen bei gerichtlicher Beauftragung den Maßgaben der §§?404 ff. ZPO. Nach §?407a Abs.?1 ZPO sind sie verpflichtet, nach bestem Wissen und Gewissen sowie unparteiisch zu handeln. Gemäß §?406 ZPO kann ein Sachverständiger abgelehnt werden, wenn objektive Umstände Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit rechtfertigen.

Eine gesellschaftsrechtliche oder wirtschaftliche Abhängigkeit von einer am Verfahren beteiligten Partei – etwa einem Versicherer – kann ein solcher Ablehnungsgrund sein, selbst wenn der Sachverständige formal nicht im Streit steht.

2. Berufliche Bindungen und Standesrecht

Für öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige gelten zusätzlich die Sachverständigenordnungen der zuständigen Bestellungskörperschaften. §?3 Abs.?1 dieser Ordnungen verlangt ausdrücklich eine unabhängige, weisungsfreie und neutrale Gutachtertätigkeit.

Besteht eine direkte gesellschaftsrechtliche Verflechtung zwischen Sachverständigenorganisation und einem Versicherer (z.?B. als 100%-Tochtergesellschaft), steht dies regelmäßig im Widerspruch zu diesen Anforderungen. Die Folge kann der Widerruf der öffentlichen Bestellung gemäß §?36 Abs.?3 GewO sein.

3. ISO-zertifizierte Sachverständige

Auch Sachverständige mit einer Zertifizierung nach DIN EN ISO/IEC 17024 unterliegen dem Grundsatz der Unabhängigkeit. Die Norm verlangt, dass Gutachter weder strukturell noch wirtschaftlich in einer Weise gebunden sein dürfen, die ihre Neutralität gefährdet. Ein entsprechender Verstoß kann zum Entzug der Zertifizierung führen.


III. Risikoanalyse bei Konzernbindung

Die Einbindung von Sachverständigen in den organisatorischen und wirtschaftlichen Verantwortungsbereich eines Versicherers (z.?B. durch Beteiligung, Eingliederung oder interne „Gutachterabteilungen“) wirft folgende Risiken auf:

RisikoartBeschreibung
BefangenheitGerichtliche Ablehnung nach §?406 ZPO möglich, auch bei „nur“ mittelbarer Konzernnähe.
BeweisverwertungsverbotEinseitige oder nicht neutrale Gutachten können im Prozess unverwertbar sein.
Verstoß gegen SachverständigenrechtRisiko des Widerrufs der öffentlichen Bestellung oder des Verlusts der Zertifizierung.
Reputations- und HaftungsrisikenFür Kanzleien und Versicherer, wenn Mandanten auf Grundlage strukturabhängiger Gutachten fehlinformiert werden.

IV. Handlungsempfehlungen

  • Prüfung der gesellschaftsrechtlichen Struktur: Bereits vor der Beauftragung sollte die Eigentümerstruktur und das Auftragsverhältnis des Sachverständigen geprüft werden.
  • Hinweis- und Aufklärungspflicht: Mandanten müssen über potenzielle Abhängigkeitsverhältnisse sachverständiger Stellen informiert werden.
  • Ablehnung oder Gegengutachten: Bei gerichtlicher Bestellung sollte bei entsprechender Nähe ein Befangenheitsantrag gestellt oder auf ein Gegengutachten hingewirkt werden.
  • Berufsrechtliche Meldung: In Fällen offensichtlicher struktureller Unvereinbarkeit kann eine Anzeige bei der zuständigen IHK oder Zertifizierungsstelle erforderlich sein.

V. Fazit

Die Einbindung von Sachverständigen in die Unternehmensstruktur eines Versicherers begründet regelmäßig einen schwerwiegenden Interessenkonflikt, der mit den rechtlichen Anforderungen an die Unparteilichkeit nicht zu vereinbaren ist. Für die rechtsberatende Praxis bedeutet dies erhöhte Prüfpflichten und eine klare strategische Positionierung im Umgang mit solchen Konstellationen – sowohl zur Vermeidung von Beweisrisiken als auch im Sinne des Schutzes der Mandanteninteressen.

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