Die Demokratie ist in der Krise, aber wer hat sie dorthin geführt? Harvard-Philosoph Michael Sandel sagt: eine Elite, die über ihren Globalisierungsgewinnen arrogant geworden ist. Ein Gespräch über eine „Leistungsgesellschaft“, die womöglich gar keine ist.
Seine Meinung, die man nicht teilen muss, ist zur Auseindersetzung mit und Hinterfragung der aktuellen Problematik der Brüche und Polarisierungen in unserer Gesellschaft wertvoll. Spannende Frage ist vor allem, was man unter „Eliten“ verstehen darf. M.E. verwendet er diesen Begriff für die Pole der wirtschaftlich/gesellschaftlich Erfolgreichen versus der Angehängten. Dies hat nichts mit dem „Wert“ des Einzelnen zu tun. Darauf abstellend mangelt es meist heute schon am gegenseitigen „Respekt“ und „Würde“ – unahängig der sozialen Stellung.
WELT: Wo sollte man damit anfangen, Leistung neu zu denken? Sandel: In einem kulturellen Rahmen. Wir müssen unsere eigenen Ansichten überprüfen, nicht die der Politik. Die Erfolgreichen müssen sich fragen, ob sie ihren Erfolg wirklich so ganz allein erreicht haben oder ob sie womöglich außer Acht lassen, wie viel sie ihrer Gemeinde, ihren Lehrern, ihrem Land, ihren Lebensumständen und schließlich sogar dem schieren Glück verdanken, das ihnen auf ihrem Lebensweg geholfen hat. Den Wert des Glücks in unserem Leben schätzen zu lernen, das könnte zu einer notwendigen neuen Bescheidenheit führen. Denn ein Teil des Problems liegt tatsächlich darin, dass es den Eliten von heute erheblich an Bescheidenheit fehlt. Das ist es, was ich die meritokratische Arroganz nenne, und die zu bekämpfen ist ein besonders wichtiger erster Schritt.
Quelle: WELT 26.09.2020