Ein Gespräch mit Prof. Dr. Burghard Piltz über Entwicklungen und Herausforderungen
Hintergrund der Incoterms® 2020:
Die Incoterms®, ein zentraler Standard für internationale Handelsgeschäfte, feiern in diesem Jahr ihr fünfjähriges Bestehen. Die jüngste Version, Incoterms® 2020, wurde im Herbst 2019 veröffentlicht und ist das Ergebnis einer umfassenden Überarbeitung durch die ICC unter Berücksichtigung von über 3.000 Kommentaren und Anmerkungen internationaler Handelsexpert. Rund 90 Prozent aller grenzüberschreitenden Kaufverträge weltweit enthalten diese Klauseln, die klare Regelungen zur Warenübergabe und Verantwortungsbereiche definieren.
Grundlegende Struktur und Anpassungen in den Klauseln:
Prof. Dr. Burghard Piltz betont, dass die Incoterms® 2020 äußerlich zwar ähnlich wie die Vorgängerversion aufgebaut sind, intern jedoch umfassend überarbeitet wurden. Trotz beibehaltenem Grundaufbau mit elf Klauseln und jeweils 20 detaillierten Regeln (10 Pflichten für Verkäufer, 10 für Käufer) wurde jede einzelne Klausel kritisch überprüft und angepasst. Ein zentrales Beispiel ist die Umbenennung der Klausel DAT (“Delivered At Terminal”) in DPU (“Delivered at Place Unloaded”). Die Anpassung reagiert auf verbreitete Missverständnisse über die Bedeutung des Begriffs „Terminal“. Die Praxis hatte diesen Begriff oft zu eng interpretiert, obwohl er grundsätzlich jeden Entladeplatz umfassen sollte. Durch die Umbenennung in DPU wird die Flexibilität der Klausel betont und gleichzeitig der Unterschied zu anderen Klauseln wie DAP (“Delivered at Place”) hervorgehoben.
Praxisbezug: Die Rolle von FCA und DPU als bevorzugte Klauseln:
In der Praxis werden die Klauseln FCA (Free Carrier) und DPU (Delivered at Place Unloaded) oft bevorzugt, erklärt Piltz. FCA wird häufig von Exporteuren mit starker Marktposition genutzt, da diese Klausel ihre Interessen gut abdeckt. Importeure hingegen favorisieren DPU, weil sie eine höhere Kontrolle bei der Warenannahme am Zielort bietet. Doch betont Prof. Piltz, dass die Auswahl einer Klausel nicht primär auf einer möglichst einseitigen Risikoverteilung basieren sollte, sondern vielmehr auf einer praktischen Analyse, wer die jeweiligen Aufgaben und Risiken des Transports effizienter bewältigen kann. Er führt ein Beispiel aus der Praxis an: Ein mittelständisches deutsches Unternehmen beauftragte ein chinesisches Großunternehmen, den Transport großer und empfindlicher Produkte von China nach Berlin zu organisieren. Obwohl der chinesische Exporteur üblicherweise mit FOB arbeitet, wurde in diesem Fall die DAP-Klausel gewählt, da das chinesische Unternehmen aufgrund seiner Marktstärke und Logistikkompetenz in der Lage war, den Transport besser zu organisieren.
Wachsende Herausforderungen und neue Anforderungen in Krisenzeiten:
Die globalen Lieferkettenkrisen und Herausforderungen wie die Pandemie haben laut Prof. Piltz auch die Incoterms-Klauseln auf die Probe gestellt. Unternehmen müssen immer häufiger flexibel auf unvorhergesehene Transporthindernisse reagieren. Insbesondere die FCA- und DPU-Klauseln bieten eine gewisse Flexibilität und sind deshalb bei vielen Unternehmen beliebt. Zugleich rät Prof. Piltz, bei Bedarf eine klare und realistische Risikoanalyse durchzuführen und die Zuständigkeiten genau zu definieren, um auch in Krisenzeiten verlässliche Geschäftsgrundlagen zu schaffen.
Zukünftige Entwicklungen und potenzielle Klauseländerungen:
Piltz sieht Potenzial für eine weitergehende Differenzierung in den Incoterms. So schlägt er etwa eine Aufteilung der FCA-Klausel vor, um zwischen den verschiedenen Lieferorten (Lieferung beim Verkäufer oder an einem dritten Ort) und den jeweiligen Verantwortlichkeiten differenzierter zu unterscheiden. Zudem könnte die wachsende Bedeutung des Containertransports künftig in den Klauseln präziser berücksichtigt werden. Hinsichtlich einer möglichen Revision im Jahr 2030 betont er jedoch, dass die ICC eine globale Perspektive wahrt und keine regional spezifischen Kriterien aufnimmt, die die Akzeptanz weltweit gefährden könnten.
Digitalisierung und Nachhaltigkeit: Einflüsse auf die Incoterms®:
Die Digitalisierung ist ein wesentlicher Faktor, der in die zukünftigen Entwicklungen der Incoterms® einfließen könnte. Zwar besteht in vielen Regionen weiterhin eine papierbasierte Abwicklung, doch langfristig könnte die Digitalisierung Prozesse beschleunigen und mehr Transparenz schaffen. Eine übergeordnete Herausforderung bleibt, digitale und traditionelle Dokumentationsanforderungen miteinander in Einklang zu bringen. Prof. Piltz merkt jedoch kritisch an, dass der „digitale Wandel“ in verschiedenen Regionen unterschiedlich schnell voranschreitet und ein globaler Standard die Bedürfnisse von Unternehmen weltweit berücksichtigen muss.
Hinsichtlich der Frage, ob Nachhaltigkeitskriterien in die Incoterms® aufgenommen werden sollten, äußert sich Prof. Piltz zurückhaltend. Der Reiz der Incoterms® liege in ihrer einfachen und klaren Struktur, die universell anwendbar ist. Er warnt davor, regionale Anliegen wie Nachhaltigkeit zu berücksichtigen, da dies die globale Akzeptanz gefährden könnte. Solche spezifischen Anforderungen könnten dazu führen, dass die Incoterms® ihre breite internationale Anwendbarkeit einbüßen.
Praktische Empfehlungen für Unternehmen:
Prof. Piltz schließt mit praktischen Empfehlungen: Unternehmen sollten sich intensiv mit den Klauseln auseinandersetzen und ihre Sachbearbeiterin der korrekten Anwendung der Incoterms® schulen. Er rät dazu, die offizielle Broschüre der ICC als verbindliche Informationsquelle zu nutzen und nicht auf verkürzte Online-Interpretationen zu vertrauen. Letztlich könnten durch Missverständnisse teure Fehler und Vertragsstreitigkeiten vermieden werden. Für den Einsatz der Incoterms® in AGBs empfiehlt er eine standardisierte Anwendung spezifischer Klauseln und eine Freigabe durch Vorgesetzte für jede Abweichung, um eine stringente und rechtssichere Umsetzung zu gewährleisten.